Die Hagener Basketball-Familie hat eine ihrer Lichtgestalten verloren. Günter Pollex (Jahrgang 1952) hat sich in über drei Jahrzehnten als Spieler und Trainer um die Region, aber auch mit dem Adler auf der Brust für den Deutschen Basketball Bund verdient gemacht. Mit dem SSV errang er 1974 die Deutsche Meisterschaft.
Phoenix Hagen trauert um den Verlust eines herzensguten Menschen und ist in Gedanken bei Günters Angehörigen.
Ihm zu Ehren veröffentlichen wir an dieser Stelle nochmals das Interview, welches Günter gemeinsam mit seinem Bruder Jochen anno 2022 im WSDF-Magazin gegeben hat.
Double Team – die Pollex-Brüder
Text & Interview: Jörg Dierkes
Basketball vor 50 Jahren, das ist Studentensport, die Hochburgen sind oft Universitätsstädte, das sind lange, oft etwas ungelenk wirkende deutsche Center und quirlige, schlanke Ballschlepper. Sie alle tragen kurze Sprintershorts, weit ausgeschnittene Baumwolljerseys, Chucks oder Adidas München. Und wer Anfang der 70er was gewinnen will, braucht mindestens einen von ihnen im Team: Einen Pollex!
Ich treffe Jochen und Günter Pollex zum Interview für dieses Heft. Sie sind keine rüstigen Herren. Sie sind fit! Wir kennen uns aus dem Berufsleben, aber spielen habe selbst ich sie nicht mehr gesehen. Oder zumindest kann ich mich nicht mehr daran erinnern. Sie begegnen mir freundlich und offen. Nach wenigen Minuten entwickelt sich dieses Interview zu einer lustigen und mehr als angenehmen Plauderei über Basketball – nicht nur über Basketball in Hagen.
Jochen Pollex, Jahrgang 1947, infiziert sich zuerst mit dem Basketballvirus. Mit einigen Freunden aus der Nachbarschaft im Hagener Gerichtsviertel zieht es ihn in die Sporthalle Friedensstraße. Er hat Talent und er hat schon als Jugendlicher Erfolg.
Jochen Pollex: „Ich gebe gerne zu, ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt eine sportliche Laufbahn angestrebt hätte, wenn ich nicht von Anfang an so erfolgreich gewesen wäre.“
Günter Pollex ist fünf Jahre jünger. Er hat durchaus auch Spaß am Fußball, aber…
Günter Pollex: „Was mich gestört hat, dass Fußball auch im Winter stattfand. Da war es nass und kalt, ich bin dann lieber meinem großen Bruder hinterher gerannt. Der war auch erfolgreich.“
Der Erfolg bleibt beiden in ihren Jugendjahren treu. Doch bei den Senioren sind Titel mit dem Hagener Basketball schwer zu erreichen. Deswegen wechselt Jochen Pollex schon 1969 zum großen Widersacher TuS 04 Leverkusen. Hier avanciert er zum Nationalspieler und wird drei mal in Folge Deutscher Meister mit den Farbenstädtern.
Jochen Pollex: „Die Trainingsbedingungen in Leverkusen waren damals sicher die professionellsten. Uns stand immer eine eigene Trainingshalle zur Verfügung und wir konnten fünf Mal die Woche mit der Mannschaft trainieren.“
Sein jüngster Bruder Günter folgt Nationalspieler Jochen nur wenige Jahre später. Zusammen werden sie in Leverkusen 1972 zusammen Meister. Dass es sie dennoch zurück in die westfälische Heimat zieht, verdanken die Hagener Fans unter anderem den Verlobten, bzw. Ehefrauen der beiden. Wegen der Liebe kehren sie vom Rhein zurück an die Volme, aber auch, weil sich beiden hier eine berufliche Perspektive bietet. Was sie mitnehmen, ist das Sieger-Gen. Hagen wird 1974 zum ersten und einzigen mal Deutscher Meister. Mit dabei: Jochen und Günter Pollex.
Jochen Pollex: „Wir hatten das Glück, dass wir in einer Mannschaft waren, die einfach gut zueinander passte. Die Chemie stimmte. Jimmy Wilkins war zwar der unumschränkte Star, aber er hatte auch keine Probleme sich selbst zurückzunehmen.“
Günter Pollex: „Damals war allen klar, in Hagen ist es schwierig zu gewinnen, aber im Titelkampf hat keiner mit uns gerechnet. Nur Trainer Jörg Trapp, der hat schon zur Weihnachtsfeier eine selbst gebastelte Papierschlange mitgebracht und gemeint, vielleicht gelingt es uns ja uns ins Endspiel zu schlängeln.“
Dazu kommt es dann auch. Unvergessen auf dem Weg dorthin ist das Halbfinale gegen Gießen.
Jochen Pollex: „Die hatten uns nicht auf dem Schirm. Gießen war der große Favorit und sie gewinnen das erste Halbfinale in Gießen auch noch mit 14…“
Das reicht aber nicht, denn die Pollex-Brüder, Krüsmann, Wilkins, Martinek, Schmunz und Co. siegen in Hagen mit 15 Punkten Differenz und stehen im Finale gegen Heidelberg. Die Ischelandhalle verdient sich spätestens in diesen Playoffs 1974 ihren bis heute gültigen Namen „Ischehölle“.
Jochen Pollex: „Die war damals noch viel enger und voller als heute. Und die Leute standen wie ein Mann hinter uns…“
Günter Pollex: „Damals waren die Stehplätze ja nicht nur auf dem Heuboden, sondern auch hinter den Körben. Die sprangen bei fast jedem Punkt von uns beinahe bis aufs Spielfeld.“
Im Finale gegen Titelverteidiger USC Heidelberg ist es dann nicht ganz so spannend. Der SSV Hagen gewinnt beide Finalspiele, wird Deutscher Meister. Und die Fans sind wieder aus dem Häuschen.
Günter Pollex: „Nach der Schlusssirene wollte Peter Krüsmann eigentlich einen Überschlag machen, aber er kam gar nicht dazu, so schnell sind die Leute in Massen aufs Spielfeld geströmt.“
Hagen ist zum ersten und einzigen Mal Deutscher Meister. Jubelarien, Autokorso, Rathausempfang – das Team nimmt den kompletten Partymarathon mit. Im Folgejahr reicht es dann nicht mehr zur Titelverteidigung, aber immerhin holen sie noch den DBB-Pokal. Aber wie war das mit Peter Krüsmann und Günter Pollex, zwei sehr unterschiedliche Typen auf der Guard-Position. Wie weit ging die Rivalität?
Günter Pollex: „Hart war das allenfalls für die Gegner. Die mussten sich, wenn wir gewechselt haben, immer wieder komplett umstellen. Peter und ich waren einfach grundverschieden. Er war immer der Meinung, wir müssen nur einen mehr machen als der Gegner. Und ich meinte wir können auch gewinnen, wenn wir einen weniger kassieren als der Gegner. Peter war definitiv ein begnadeter Sportler, nicht nur im Basketball, auch im Fußball oder Handball oder Turnen. Der konnte alles. Aber er war kein Beißer. Ich war nicht so begnadet, aber ein Beißer.“
Die Meisterschaft anno 1974 bleibt allerdings auf ewig mit dem Namen Jimmy Wilkins verbunden. Er allein ist in jenen Tagen schon das Eintrittsgeld wert. Sein Spiel ist aber eben nicht nur schön anzusehen, sondern er ist auch ein Crunchtimeplayer. Wenn es knapp und wichtig wird, kommt der Ball zu ihm. Beide Pollex-Brüder loben zudem die menschlichen Vorzüge des Kaliforniers. Demnach ist er zwar der Star auf dem Spielfeld, aber in der Kabine einer wie jeder andere im Team.
Jochen Pollex: „Jimmy war der erste Amerikaner in Deutschland, der nicht nur gut spielte, sondern auch irre spektakulär.“
Günter Pollex: „…das hat uns sogar beim Spiel Spaß gemacht ihm zuzuschauen. Wenn der in die Zone ging, wo schon drei Verteidiger waren und dann das Ding rückwärts rein dunkte, da wären wir am liebsten auch alle von der Bank aufs Spielfeld gerannt und hätten ihn umarmt. Das beflügelt einen einfach. Man denkt, wenn der solche Sachen hinkriegt, dann kriegst du auch deine normalen Sachen gemacht.“
Mit fast 30 Jahren beendet Jochen Pollex 1976 seine Bundesligakarriere. Eine Knieverletzung und viele weitere Blessuren lassen diese Entscheidung in ihm reifen.
Jochen Pollex: „Durch meine letzte Saison habe ich mich schon ziemlich durchgeschleppt. Erst war ich verletzt und merkte dann, dass ich nicht mehr richtig ran kam. Vor allem nicht zu meiner eigenen Zufriedenheit, und da war es besser aufzuhören.“
Hagen bleibt er weiter verbunden – viele Jahre als Pressesprecher der Hagener Versorgungsgesellschaft. Bruder Günter beendet ebenfalls mit 30 Jahren seine aktive Laufbahn. Dem späteren Verwaltungschef des Theaters Hagen fällt es immer schwerer Beruf und Spitzensport adäquat zu vereinen.
Günter Pollex: „Ich musste mich in meiner letzten Saison mit Shorty Hillebrand und Armin Andres rumschlagen. Die beiden kamen damals frisch rasiert und vom Frühstück zum abendlichen Training und ich war schon einmal von der Arbeit durchgeschwitzt. Ich habe mich mit den beiden gut verstanden, aber es fiel mir dann zunehmend schwerer mich gegen die beiden, die auch richtig viel Talent hatten, durchzusetzen.“
Günter Pollex bleibt dem Hagener Basketball rund 20 weitere Jahre als Co-Trainer, Headcoach und Funktionär erhalten. In seiner Zeit als Cheftrainer beim TSV Hagen 1860 gelingen ihm nicht nur der Aufstieg in die Basketballbundesliga und Platz fünf in den Playoffs, übrigens vor dem SSV Goldstar Hagen, sondern er entdeckt auch so prägende Importspieler wie Keith Gray oder Sylvester (Sly) Kincheon. Die Auswahl der „Imports“ ist damals noch eine Wissenschaft für sich. Für Günter Pollex und seinen damaligen Vereinsmanager Elmar Josten bedeutet das viele Jahre lang die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen.
Günter Pollex: „Das ist jetzt kein Mist, wirklich wahr. Elmar und ich haben uns dicke Bücher aus Amerika besorgt, da gab es ja noch kein Internet. Scoutings mit tausenden Namen und noch viel mehr Statistiken. Anfang der 80er waren wir auf der Suche nach einem deutsch klingenden Namen, weil wir einen Deutsch-Amerikaner finden wollten, der für Pocketmoney bereit wäre für uns zu spielen. Wir haben da viele Absagen bekommen. Oft freundlich und manchmal sogar auf deutsch. Da haben wir auch die University of North Carolina angeschrieben, einen gewissen Michael Jordan, klingt doch sehr deutsch…“
Ein gutes Näschen für Talente haben Günter Pollex und Elmar Josten wohl. Dieser Michael Jordan wird dann 1984 von den Chicago Bulls gedraftet. Der Rest ist bekannt und etwas mehr als Pocketmoney hat er in seiner Karriere wohl auch verdient. Geantwortet hat er Pollex und Josten allerdings nie. In den letzten Jahren sind die Pollex-Brüder nur noch selten Gast bei Spielen von Phoenix-Hagen in der Krollmann-Arena. Interessiert sind sie trotzdem.
Jochen Pollex: „Ich verfolge das immer noch sehr intensiv. Aber ich gehe nicht mehr hin, es ist einfach anders geworden als früher.“
Günter Pollex: „Ich gucke so viel Basketball im Fernsehen wie noch nie in meinem Leben. Ich finde das richtig gut. Ich hatte zuletzt keinen um mich herum, der mit in die Halle gegangen wäre, dadurch habe ich auch etwas den Kontakt verloren.“
Wir versprechen uns fest, künftig gemeinsam ein Heimspiel von Phoenix Hagen anzuschauen. Ich kann die beiden fitten und lustigen Herren aber nicht gehen lassen ohne sie noch danach zu fragen, was ihr unbestrittener Höhepunkt in ihrer sportlichen Karriere gewesen sei. Der, an den sie sich am liebsten erinnern. Jochen Pollex braucht gar nicht zu überlegen…
Jochen Pollex: „Ganz klar: Der 26. August 1972! Einmarsch zur Eröffnungsfeier ins Olympiastadion in München. Ich war Meister und Pokalsieger, aber das, das war es einfach…!“
…und irgendwie ist es dieser Satz, welcher wie aus der Pistole geschossen kommt, der die Brüder und Sportsmänner Jochen und Günter Pollex vielleicht am besten beschreibt.